Die Geschichte unserer Stiftung von 1971 bis 2008
von Gustav Graf von Keyserlingk – Ehrenvorsitzender
In ihrer Satzung hat sich die 1971 in München gegründete Ost- und Westpreußenstiftung in Bayern e. V. zum Ziel gesetzt, „angesichts der über Jahrhunderte wirksamen Wechselbeziehungen zwischen Bayern und dem deutschen Osten das ost- und westpreußische Kulturgut als wesentlichen Bestandteil der deutschen Kultur im Bewusstsein des gesamten deutschen Volkes zu erhalten, zu pflegen und weiter zu entwickeln.“
1978 wurde der Freistaat Bayern auch Patenland der Ostpreußen. „Eingedenk der vielfältigen jahrhundertealten historischen und kulturellen Bindungen zwischen Bayern und Ostpreußen“ – so heißt es in der von Ministerpräsident Alfons Goppel unterschriebenen Patenschaftsurkunde – „hat die Bayerische Staatsregierung die Patenschaft für die Landsmannschaft Ostpreußen übernommen – als Zeichen der Verbundenheit mit den ostpreußischen Landsleuten, des Dankes für Einsatz und Leistung und der rückhaltlosen Gemeinschaft im Deutschland nach dem 2. Weltkrieg“.
In den 36 Jahren ihres Bestehens hat die Stiftung, solange ihr dies finanziell möglich war, neben ihren wissenschaftlichen Aufgaben besonders die kulturelle Breitenarbeit gepflegt.
Altes Gelände Flugplatz Oberschleißheim
Auf einem Gelände mit 15000 qm Grund, zwei heruntergekommenen Gebäuden und rund 2000 qm Nutzfläche, das sie mit Hilfe des Freistaats Bayern 1986 in Oberschleißheim erwerben konnte, entstand dank vieler ehrenamtlicher Mitarbeiter, privater Spender und institutioneller Förderer ein Sammlungs-, Dokumentations- und Begegnungszentrum mit
- Depotausstellungen zur Geschichte und Landeskunde Ost- und Westpreußens – rund 2.600 Exponate, präsentiert in 19 Räumen mit insgesamt 62 Ausstellungsvitrinen, dazu eine Gemälde- und Grafiksammlung (rund 300 Originale) und zahlreiche kulturgeschichtliche Objekte,
- einer Bibliothek mit etwa 8000 Büchern, an deren PC-Registrierung und sachgebietsmässiger Aufstellung noch gearbeitet wird, einem Archiv
- sowie Arbeits- und Versammlungsräumen, darunter der Traditionsraum „Königsberger Blutgericht“, der dem berühmten Lokal im Hof des Königsberger Schlosses in einigen Details nach gestaltet ist
- sowie eine gewerblich betriebene Gaststätte zur Durchführung größerer Veranstaltungen, Seminare und Tagungen. Diese ist inzwischen zu einem Ausstellungsgebäude („Haus der Ost- und Westpreußen“) umgebaut worden.
Das sog. „Startergebäude“ in unmittelbarer Nachbarschaft, in dem die Sammlung bisher untergebracht war, wurde vom Landratsamt München im Januar 2008 abgebrochen.
In all den Jahren entwickelte sich diese Einrichtung zur Heim- und Arbeitsstätte der Stiftung für die Erfüllung ihrer satzungsgemäßen Aufgaben. Ihr oberstes Ziel war es, mittels der für sie erreichbaren Materialien möglichst umfassend und öffentlichkeitswirksam die Überlieferung des ost- und westpreußischen Kultur- und Geschichtserbes zu pflegen und dessen wissenschaftliche Bearbeitung und Auswertung für die Zukunft sicher zu stellen.
Diesem Zweck dienten zum einen eine Reihe von Publikationen, darunter die Serie „Acta Borussica – Beiträge zur ost- und westpreußischen Landeskunde“ mit Beiträgen über namhafte Künstler, Literaten, Wissenschaftler, Politiker und andere bedeutende Persönlichkeiten aus Ost- und Westpreußen (Bände 1 bis 7, einige davon noch verfügbar) sowie mehrere Wanderausstellungen zu Themen aus den erwähnten Regionen, die in der Folgezeit an verschiedenen Orten in Bayern durchgeführt wurden.
Zum anderen initiierte die Stiftung in den Jahren nach ihrer Gründung drei wissenschaftliche Gremien und gliederte sich an: a) die Arbeitsgemeinschaft für ost- und westpreußische Landeskunde an der Universität München, b) das Institut für Landeskunde Ost- und Westpreußens e.V. und c) die Altpreußische Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Literatur. Von ihnen besteht heute nur noch die letztere.
Mit Mitteln des Bayer. Arbeits- und Sozialministeriums gelang es der Stiftung, in Allenstein und Königsberg je ein Sprachstudio zu installieren – dank der großen Nachfrage nach Deutsch arbeitet jedenfalls das erstere, das der dortigen Universität angeschlossen wurde, noch heute.
– Ausstellung „Alma mater Albertina“ 1994 –
im Foyer des Verwaltungsgebäudes der Universität in Königsberg
Die gesamten Bestände der Stiftung waren bis zum Jahr 1990 im so genannten „Startergebäude“ untergebracht, das unmittelbar an den heutigen Flugplatz Oberschleißheim für Privatflieger angrenzt – einen der ältesten deutschen Militärflugplätze. Mit dem Ziel, ihre herausragendsten Exponate dem Publikum in angemessen ausgestatteten Räumlichkeiten dar zu bieten, aber auch in der Absicht, im „Startergebäude“ mehr Platz und damit Übersichtlichkeit zu schaffen, schloss die Stiftung im Juni 1988 mit dem Bayerischen Kultusministerium einen Vertrag. Er hatte zum Inhalt, dass „der Freistaat Bayern sich verpflichtet, im renovierten Alten Schloss Schleißheim – einem im Krieg beschädigten Barockbau – sechs Räume einzurichten, in denen er eine zuvor gemeinsam mit der Stiftung getroffene Auswahl von 179 Gegenständen, Gemälden und Grafiken, Hand- und Druckschriften aus den Gebieten ost- und westpreußischer Landesgeschichte, Volkskunde und Volkskunst ausstellt.“ Als Gegenleistung übereignete die Stiftung dem Freistaat Bayern das in diesen sechs Räumen Ausgestellte.
So entstand 1991 im Alten Schloss Schleißheim, damals Zweigmuseum des Bayerischen Nationalmuseums, das Museum „Es war ein Land… Sammlung zur Landeskunde Ost- und Westpreußens“. ( siehe Ausstellungen )
Mahnmal Flucht und Vertreibung
Von anderer Natur waren zwei weitere Aufgaben, denen sich die Stiftung schon bald nach ihrer Gründung stellte. Zum einen errichtete sie 1984 als Pilotprojekt für alle Heimatvertriebenen in Zusammenarbeit mit dem BdV, Landesverband Bayern auf ihrem Grundstück ein „Mahnmal für die Opfer von Flucht und Vertreibung“. Zum anderen schuf sie 1995 gemeinsam mit dem „Kuratorium ehemaliger ost- und westpreußischer Verbände – Heer – Luftwaffe – Marine“ aus Spendenmitteln und mit viel Eigenleistung ein „Ehrenmal für die gefallenen, vermissten und in der Gefangenschaft verstorbenen deutschen Soldaten“.
An beiden Stätten wurde und wird bis heute einmal im Jahr – am Volkstrauertag – der Toten beider Weltkriege sowie – am 8. Mai – des Verlusts der Heimat und der Opfer von Flucht und Vertreibung gedacht. Beide Ehrenfeiern waren stets begleitet vom Geläut der Kiwitter Kirchenglocke und von einer Kranzniederlegung an den Gedenkstätten.
Das „Mahnmal Flucht und Vertreibung„, am 19. Juli 1984 unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Franz Josef Strauß eingeweiht, setzt sich zusammen aus dem letzten erhaltenen Pionierlandungsboot, das im Frühjahr 1945 zur Rettung unzähliger Flüchtlinge und Verwundeter eingesetzt wurde, einem Glockenstuhl für zwei historische Glocken von 1622 und 1652 aus der Kirche von Kiwitten im Ermland sowie einer Gedenkmauer mit Erinnerungstafeln und eingelassenen Glasziegeln mit Heimaterde – als symbolische letzte Ruhestätte für diejenigen, die fern der Heimat starben und deren Namen niemand kennt.
In seiner Gedenkrede sagte Ministerpräsident Dr. Franz Josef Strauß, dieses Denkmal erinnere nicht nur an das Schicksal der Vertreibungsopfer, sondern ebenso an die Tapferkeit und den Heldenmut der helfenden und rettenden Verbände der Kriegs- und Handelsmarine und des Heeres. Besonders stolz dürften wir darüber sein, dass gerade bayerische Verbände wie etwa die 7. Infanterie-Division und die vor allem aus Franken stammende 4. Panzer-Division an den Einsätzen beteiligt waren. Auch dieser Teil der Geschichte des deutschen Soldaten dürfe nicht vergessen werden. Die Tatsache, dass die Gedenkstätte auf bayerischem Boden errichtet wurde, sei ein Zeichen der Anerkennung für die besondere Verbundenheit Bayerns mit den Heimatvertriebenen. „Unsere Heimatvertriebenen können darauf vertrauen, dass sie sich auf den Freistaat und auf den Bayerischen Ministerpräsidenten weiterhin verlassen können, dass Bayern auch hier seine gesamtdeutschen Pflichten voll erfüllen wird.“ Gut vier Jahre später ist er verstorben.
Die andere Gedenkstätte auf dem Gelände, das „Ehrenmal für die in zwei Weltkriegen gefallenen, vermissten und in der Gefangenschaft verstorbenen deutschen Soldaten ehemaliger ost- und westpreußischer Verbände Heer – Luftwaffe – Marine“, wurde als Achteck gestaltet – mit einem sieben Meter hohen Holzkreuz in der Mitte. Die offizielle Einweihung erfolgte am 25. Juni 1995 unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Edmund Stoiber sowie der Mitwirkung des Gebirgsmusikkorps der Bundeswehr – mit rund 1000 Teilnehmern.
Ehrenmal
Das Ehepaar Dres. Heinz und Dorothee Radke (er aus Ostpreußen, sie aus Pommern stammend), dessen tatkräftigem, nie erlahmendem Einsatz die Stiftung nicht nur ihre Gründung, sondern auch ihre stetige Aufwärtsentwicklung in den folgenden Jahrzehnten verdankte, hatte es erreicht, dass das Bayer. Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung der Stiftung am Ende des letzten Jahrhunderts sechs Planstellen zur Verfügung stellte.
Dann aber verstarb Dr. Radke im Jahre 1999, und nahezu zeitgleich strich das Bayerische Arbeitsministerium der Stiftung die Zuschüsse, verlagerte sie in das Kulturzentrum Ostpreußen in Ellingen und empfahl der Stiftung dringend, ihre sämtlichen Bestände ebenfalls dorthin zu verlagern. Dies gelang deshalb nur zu einem kleinen Teil, weil Ellingen damals schon über einen hochwertigen Bestand verfügte und außer einigen thematischen Ergänzungen aus Platzgründen nur noch wenige unserer Exponate aufnehmen konnte.
Zu dem Tod von Dr. Radke und dem Wegfall der staatlichen Förderung trat dann noch ein weiterer, die Existenz der Stiftung bedrohender Umstand. Das gesamte Dach eines unserer beiden Gebäude musste erneuert werden, was sich für die Stiftung in einer nicht mehr tragbaren Kostenbelastung niedergeschlagen hätte – zu viel für die Stiftung. In langen Verhandlungen mit dem damaligen Landrat des Landkreises München kam man zu dem vertraglichen Ergebnis, dass der Landkreis das Grundstück mit den beiden Gebäuden übernehmen und die Schulden tilgen, dazu der Stiftung den miet- und kostenfreien Verbleib in dem heutigen Ausstellungsgebäude zusichern solle. Vereinbart wurden weiterhin die Erhaltung und Pflege des Landungsboots, der Heimaterdemauer, des Glockenturms sowie des Denkmalbereichs.
Dies war der Stand der Dinge, als ich Ende 2002 auf die dringende Bitte von Frau Dr. Radke hin den Vorsitz im Vorstand der Stiftung übernahm. Wenige Wochen später – im Februar 2003 – unterzeichnete ich gemeinsam mit ihr und Herrn Pfarrer Werner Ambrosy den obigen Vertrag. Dieser sollte jedoch erst dann wirksam werden, wenn die Stiftung zwei ehemalige Studenten, billigst wohnend ohne Mietvertrag in einem Teil des „Startergebäudes“, zum Auszug bewogen haben würde. Dies gelang mit viel Glück nach einiger Zeit, und so konnte der Landkreis nun – ab Sommer 2004 – die Planung für den Umbau des heutigen Ausstellungsgebäudes beginnen, während die Stiftung zum einen daran ging, ihren Bestand in einer Liste zu erfassen (ca. 8000 Gegenstände), ihn zu bewerten und für die Zukunft zu sichern. Dies zog sich über fast 3 Jahre hin – von Herbst 2004 bis Sommer 2007.
Haus der Ost- und Westpreußenstiftung in Bayern e. V. Oberschleißheim
Gegenwärtig – im April 2008 – ist die Umgestaltung unseres früheren Geländes in vollem Gang.
Das Landungsboot hat einen konservierenden Anstrich und zwei neue Betonsockel erhalten und ist näher an den Mahnmalbereich versetzt worden. Im Februar ist der Spatenstich für das Selbstversorgerhaus des Kreisjugendrings München-Land erfolgt, das in unmittelbarer Nähe unseres Ausstellungsgebäudes entstehen soll.
Im vergangenen Jahr hatte der damalige Landrat des Landkreises München die ca. 15 Mitglieder einer Kommission berufen, die miteinander über die Neugestaltung unseres früheren Geländes, vor allem über den problematischen Denk- und Mahnmalbereich beraten sollen. Ihr abschließendes Votum wird spätestens am Ende des Jahres vorliegen.
München, 24. April 2008
Gustav Graf von Keyserlingk · 1. Vorsitzender
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